Neues von der Unternehmung

Alpinklettern und Höhenbergsteigen in Stepanzminda

Nachdem wir in Tbilisi alle notwendigen Voreinkäufe erledigt haben, sind wir schnell aus der Stadthitze geflohen. Wir fuhren hochmotiviert und glücklich über den baldigen Start unserer Abenteuer in Richtung Stefansminda, ein Bergsteigerort am nordöstlichen Rand Georgiens mitten an der Passstraße nach Russland. Dort angekommen breiteten wir uns für ein paar Nächte erstmal in Asrsha, einem kleineren Vorort aus. Essensrationen zusammenpacken, Tourenplanung betreiben, Wege auskundschaften und eine kleine Akklimatisationswanderung standen auf dem Programm. Das Highlight war dann jedoch als wir am Samstag, den 05.09.2023 endlich mit den Autos über eine holprige Schotterpiste zu dem Bergort Juta fuhren, von dem aus wir zum Chauki-Massiv aufstiegen. 

Beim zähen aber glücklicherweise recht kurzen (400hm, 4km) Aufstieg zum Basecamp des Chauki zogen wir uns mit den mit reichlich viel Essen vollgepackten Rucksäcken die Schultern lang. An dem Zeltspot angekommen, war es auch schon Zeit für ein Päuschen. Essen geht ja bekanntlich immer. Wir schlugen die Zelte auf, richteten uns ein und stellten erstmal beruhigt fest, dass es 1. hier auch noch andere Kletterer gibt (eine Dreierseilschaft aus Litauen), es 2. ultrageile Felsen gibt, man 3. direkt am Camp sowohl einen Fluss als auch ein Plumpsklo findet. Ein kleiner, sehr motivierter Teil der Gruppe rannte nach dem Zustieg natürlich direkt zur Wegerkundung den Hang hinauf. Der Rest teilte sich auf die möglichen Ersatzaktivitäten Sportklettern am Basecamp und Ausruhen auf. Ganz fit fühlten sich nach der heftigen Anfahrt noch nicht alle und so ging der Nachmittag für die meisten recht schnell um. Am Abend kuschelten wir uns nach einem genüsslichen Nudel-Pilztopf in unsere Schlafsäcke und träumten von den bevorstehenden Touren.  

Wenn morgens um 5 Uhr der Wecker klingelt, gibt es eine besondere Sorte Mensch, die hochmotiviert aus dem Schlafsack stürmt, Kaffee kocht und Porridge löffelt. Der Rest steht aber dann auch mit ein paar lang gezogenen Seufzern und Verfluchungen auf. Die Berge locken einfach zu sehr und der Fels will unbedingt geklettert werde. 2 Seilschaften machen sich zur nordseitigen Riss/Kamin-Tour auf den Javakishvili (3733hm) auf. Nach 600 Höhenmetern Grashang und weiteren 200 Metern Kraxelei im zweiten Grad ist der laut Topo kurze Anstieg (Zitat: Mountaineering rotes are very close from Base camp) geschafft und eine wunderschöne, recht anspruchsvolle Kletterei beginnt. Das Topo stellt sich auch in der Route als grobe Handlungsempfehlung und keineswegs als exakte Tourenbeschreibung heraus. Der Fels ist in den steilen Passagen einigermaßen fest, aber trotzdem kann man den ein oder anderen 100kg-Block ohne größere Anstrengung aus der Wand schubsen. Beziehungsweise man kann nicht nur – Milan, der Seilletzte – macht seinem Ruf als Wandkobold alle Ehre und räumt ein bisschen auf. Vielleicht wird ja in diesem Jahr noch eine Seilschaft von der nun etwas freigeräumteren Route profitieren? Allgemein ist es im Chauki-Massiv zum Klettern sehr einsam, also viele Begehungsspuren findet man nicht. Trotzdem finden sich in der Tour ein paar Haken und Stände. Das ist allerdings auch sehr (!) angebracht, denn in der 4. Seillänge kommen wir dann doch sehr nah an unsere körperliche Grenze. Die Tourenbeschreibung wies den russischen Grad 4B (Ascent (at least 600 m) on a peak between 2500-7000 m or traverses at this height with rock sections of 40-80 m of IV, or short passages of V, and snow and ice sections of 300-400 m or more of IV. The route would normally take 8-10 hours or more and require the insertion of 8-10 pitons or more for belaying. Traverses would include at least 2 routes of Grade 4A. ) aus, nach einer UIAA 5 fühlte sich die Kletterei dann jedoch definitiv nicht an. Mit einer guten Mischung aus Mut, kühlem Kopf und starken Fingern konnte Jens die schwierigste Länge trotz der Nässe in der Schlüsselstelle sturzfrei hochklettern und beim obligatorischen Gipfelkaffee sah die Welt dann schon wieder wesentlich freundlicher aus. Der Abstieg gestaltete sich lang, eine Tour auf der Südseite galt es Abzuklettern, durch einen Couloir konnte abgeseilt werden und zu guter letzt galt es noch die letzten 800 Höhenmeter herunterzuwandern. In der gleichen Zeit hatten die zwei übrigen Seilschaften auch Probleme damit den Routenzustieg zu überwinden. Der Aufstieg zum Asatiani respektive Kameroni erwies sich als zu schwierig für nur einen Pickel und mit zwei Seilschaften ohne echte Absicherungsmöglichkeit (Steileis + Steinschlaggefahr = nur 1 Seilschaft mit 2 Pickeln/Person). Also suchten wir uns eine Alternative und kraxelten ein wenig im steilen Schnee und Blockeisfeld.  

Der nächste Tag war zur Regeneration nach der harten Tour ein bisschen ruhiger. Es wurde gewandert, sportgeklettert und ein kleiner Teil der Gruppe machte sich auf zum Tikanadze (3436hm), ein Schiefergrat mit IIer Gelände wartete nur auf unsere Begehung. Das Wetter war optimal sonnig und hinterliess in unseren Gesichtern nicht nur ein Lächeln, sondern auch ein wenig Röte. Am Abend hatten wir offenbar noch nicht genug und wollten unbedingt das Camp zum Schlafen noch auf 3100m verlegen, um uns auf den anstehenden Kazbek besser zu akklimatisieren. Also alles Einpacken, aufsatteln und nochmal 700hm Aufstieg?! Deal! Zum Glück hatten wir das Hörbuch Quality Land auf dem Handy, das lenkt uns ein wenig von den brennenden Oberschenkeln ab. Und die Aussicht auf einen kürzeren Zustieg für den morgigen Tag lockt ebenfalls. Am Morgen geht es mit dem Sonnenaufgang nämlich los. Paul und Sören versuchen sich nochmal an dem Asatiani, da es der höchste Gipfel des Chauki-Massivs ist und die beiden gerne das Steileis probieren wollen. Jens, Hannah, Milan, Fabi und ich (Ela) gehen den Leonidze an, der sich den Zustieg mit dem Abstieg vom Javakishvili teilt und somit einigermaßen bekanntes Terrain ist. Richard und Annika wollen etwas entspannter unter dem Rcheulishvili kraxeln gehen. Laura und Jakob fallen heute aus, die beiden sind doch noch bzw. Wieder etwas angeschlagen. Der Plan ist geschmiedet, wir brechen auf, finden feinsten Fels und abenteuerliche Touren vor. Die Kletterei ist traumhaft, die Wegführung wie immer etwas kompliziert, aber der Blick vom Asatiani und Leonidze entlohnen uns, der Gipfelkaffee schmeckt hervorragend, das Abseilen ist nur wenig problematisch. Ein toller Tag. 

Am Abend entscheiden wir uns für ein recht strammes Kazbek-Programm und beschließen gemeinsam, dass wir das gute Wetterfenster der nächsten 5 Tage auskosten wollen. Das bedeutet konkret, dass wir am Mittwoch nicht nur absteigen und uns den Bauch vollschlagen wollen, sondern auch direkt wieder ein Camp auf 3100 Höhenmetern aufbauen wollen. So können wir eine entspannte Akklimatisation für alle am ehesten erreichen. Gesagt, getan und am nächsten Mittag müssen wir mit jeweils mindestens 500 Gramm Käse im Bauch Einkaufen, Essensrationen für 4-5 Tage planen, Rucksäcke von Klettern auf Höhenbergsteigen umpacken und etwa 1000 Höhenmeter Aufstieg bewältigen. Ein straffer Zeitplan und viel Disziplin helfen, dass wir dann in zwei Gruppen aufsteigen, nur Laura und Jakob gehen das Ganze gemütlicher an. Gut so – denn am nächsten Morgen ist auch Annika Pause-bedürftig und nur ein Teil der Truppe geht auf das eigentliche Basecamp auf 3600 Höhenmetern an der Bethlemi hut. Die Wanderung dorthin beinhaltet auch nur eine 1-stündige Zwangspause mit Kaffee und Keksen bei der Grenzpolizei (scheinbar müssen Persos immer per Whatsapp an die zuständige Behörde weitergeleitet werden, Reisepässe wären wesentlich unkomplizierter gewesen). Ansonsten gelangen wir motiviert bis ins Camp. Dort steppt der Bär. Anton – ein Bergführer aus Polen - rät uns vom einzigen Toilettenhaus stark ab, das Wasser kommt durch einen zweifelhaften Gummischlauch am Camp an, überall sind Hunde und die Packpferde pflastern den Eingangsbereich der Hütte mit Pferdeäpfeln voll. Aber auch sind hier viele motivierte Bergsteigende aus allen möglichen Ländern, die sich über ihre Bergerlebnisse, Erfahrungen und bevorstehenden Gipfel unterhalten. Jede erfolgreiche Besteigung wird mit Chacha gefeiert und der Hüttenwirt Johnny hat ein wachsames Auge auf alle Zelte. Schon eindrücklich, so etwas haben wir bisher alle noch nie erlebt. Die Akklimatisierungstour am Freitag kürzen wir etwas ab, denn als wir morgens fertig mit Frühstück waren, begann es zu regnen. Am Freitagabend trudeln dann auch unsere Nachzügler ein und die Hälfte von uns fasst den Samstag als Gipfeltag ins Auge, die andere Hälfte möchte Sonntag gehen, der Wecker wird auf 1 Uhr eingestellt. 

Scheiss Couscous” tönt es durch die nächtliche Stille. Ein verwirrter Blick zur Uhr (haben wir verschlafen????) zeigt, es ist 0:30 Uhr.  Paul fehlt. Ein Röhren ertönt und es wird klar – wir werden wohl die Seilschaft verkleinern müssen. In der nächsten halben Stunde kommen wir nicht mehr so richtig zum Schlafen und auch Sören streicht nun die Segel. Ein wenig reduziert, müde, aber erwartungsvoll machen Hannah, Milan, Jens, Laura und ich (Ela) uns dann um halb 2 auf die Socken. Im Dunkeln stapfen wir zunächst durch das Blockgelände an den anderen Zelten vorbei, dann seilen wir bei Beginn des Gletschers im Dunkeln an, ziehen an einigen Seilschaften vorbei und erreichen im Dunkeln den Sattel auf 4500 Höhenmetern, wo wir ein kleines Päuschen einlegen. Hier sind wir nun auf der russischen Seite des Kazbeks, dessen Gipfel nämlich direkt auf der Grenze zwischen Georgien und Russland liegt. Im Schein unserer Stirnlampen taucht eine dunkle Gestalt im Schnee auf. Eine Hündin - natürlich wird sie schnell von Jens auf den Namen Rufus getauft – tapst zitternd über den Schnee. Laura kann nicht widerstehen und füttert und streichelt sie aus Mitleid. Und schon ist unsere 5er-Seilschaft um ein Mitglied reicher und wir setzen unseren Weg zum jetzt heller werdenden Tagesanbruch fort. Der Anstieg zum Gipfel steilt für die letzten 500 Höhenmeter ordentlich auf und die Höhe macht sich nun durchaus bemerkbar. Vor allem Milan ist etwas angeschlagen und Laura hatte nur 1 Tag Akklimatisation, sodass wir wirklich langsam vorangehen. Trotzdem holen wir noch immer Seilschaften ein. Die geführten anderen Seilschaften, überwiegend aus Russland, haben aber auch einen deutlichen Nachteil: Sie benutzen allesamt Polster, die sie an Gürteln befestigen und die es ihnen ermöglichen sich überall ohne kalten Hintern niederzulassen. Diese sogenannten Arschpolster scheinen auf jeden Fall eine magische Anziehungskraft auszuüben, denn überall - auch in den steilsten Stücken - setzen sich deren Träger auf den Boden. So ist es ein langsames Vorankommen. Rufus treibt uns dagegen an und jagt fröhlich über den Gletscher. So kommen wir rotz unserer relativ späten Abmarsch-Uhrzeit trotzdem als zweite Seilschaft auf dem Gipfel an. Ein kurzer Genuss, denn es ist sehr kalt und dann begeben wir uns wieder auf den Runterweg. Unglaublich, wie schnell man wieder Durchatmen kann, wenn es nicht mehr bergauf geht und man sich Meter für Meter Richtung Tal bewegt. Die Schwierigkeit der Tour lag hier definitiv allein in der Höhe. Das macht es für uns aber auch unvergesslich und wir feiern unsere 5054 Höhenmeter am Fuße des Gletschers dann noch mit dem ausgelassenen Kaffee nach.  

Zurück im Basecamp berichten wir dem Rest der Truppe von unserer Tour, Essen, halten Mittagsschlaf und beschließen kurzerhand noch mit Sören gemeinsam die 3000 Höhenmeter bis ins Tal abzusteigen. Die Dusche, das Essen und die Aussicht auf eine warme Nacht in einem kuschligen Hostelbett locken uns sehr. Der Rest der Truppe besteigt den Kazbek dann am Sonntag. Auch sie steigen direkt nach dem Gipfel bis ins Tal und so sind wir dann am Sonntagabend noch wieder alle vereint, um die nächste Zeit zu planen und ein bisschen Party im Hostel zu feiern. 

Ela für die Unternehmung