Bericht der Skitouren Fortbildung

Steiler Schnee

Am Nachmittag trudeln die ersten bei mir in der WG in Chur (östliche Schweiz) ein. Vollbepackt mit Skiern (man munkelt es gab auch ein Splitboard), Rucksäcken und Alditüten voll mit Krams beziehen die ersten das Lager. Zum Glück gibt es genug Platz. Die ersten setzen auch schon schnell die Essensplanung aus den einzelnen Gruppen um und gehen einen Großeinkauf machen. Ich genieße es sehr, dass ich seit meinem Wegzug aus Bochum mal für eine Alpenvereins-Veranstaltung nicht weit fahren muss, sondern es direkt von mir daheim losgeht. Wir lernen uns dann nach dem gemeinsamen Abendessen noch ein bisschen genauer kennen. Wie bei fast jeder NRW-Veranstaltung sind auf jeden Fall die üblichen Verdächtigen dabei. Unsere Teamer sind Paul, Anton und Felix als Hospitanten, alle schon erfahrene Hasen im Skitourenbusiness. Bis zum Schlafengehen haben wir dann auch noch die Tourenplanung und Materialaufteilung für den Hüttenzustieg am nächsten Tag erledigt und schlafen dann schnell ein. 


Am nächsten Morgen wuseln wir alle wie wild, bis wir dann auf dem Parkplatz der Langlaufloipe Isel in Arosa parat für den richtigen Kursstart sind. Los geht es mit einem großen LVS-Check, bei dem uns Anton noch ein paar Tipps gibt. Das Laufen fällt mir am Anfang immer schwer. Ich bin schon mehrfach Richtung Ramozhütte aufgestiegen, was es nicht unbedingt einfacher macht die müden Beinchen in Fahrt zu bringen. Es ist recht warm, der Schnee ist schon oft angetaut und dementsprechend mäßig angenehm zum Gehen. Zwischendurch wären letztendlich vielleicht sogar Harscheisen gut gewesen, um schneller voranzukommen. Gerade unser Splitboarder kämpft bei der weiten Strecke ordentlich gegen die Hangneigung an. Am frühen Nachmittag erreichen wir mit hungrigem Bauch die Hütte und stürzen uns nach dem ersten Einrichten der Lager direkt auf unsere Lunch- und Snackkisten. Ein paar besonders motivierte brechen dann nochmal zu einem kleinen Skitürchen auf den Hausberg mit recht solidem Nordhang-Powder auf und ziehen dort die ersten Schwünge. Der andere Teil der Gruppe übt sich nochmal an verschiedenen Szenarien aus der Lawinenverschüttetensuche. Abends kochen wir ultra leckere Nudeln mit Tomatensauce – alles vegan und sogar mit frischem Gemüse, was wir im Aufstieg an unserem Rucksackgewicht auch gemerkt haben. Die Tourenplanung für den nächsten Tag macht uns sehr gute Versprechungen auf einen tollen Tag.

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Nach dem Frühstück geht es direkt los Richtung Pizza Naira, ein technisch moderater Gipfel mit Gratmetern, einem möglicherweise schwierigem Abstieg Richtung Norden und einer höhenmeter-mäßig recht entspannten Tour für den Anfang. Circa 600 Höhenmeter sind zu bewältigen, allerdings auch etwa 200hm davon auf dem Südgrat. Wir stapfen nach einem kurzen Gruppencheck motiviert los und lernen von Paul noch einiges über optimierte Spurenwahl, Spitzkehren und Auswahl von Hilfsmitteln im steilen Gelände über 30° Neigung, Optimierung von Ein- und Ausstieg aus der Bindung und vieles mehr, bis wir unterhalb der Ostflanke des Nairas stehen. Dort schauen wir uns die Couloirs an und merken, dass manche möglichen Wege auf der Karte gar nicht so möglich erscheinen, wie sich der Berg dann in der Realität präsentiert. Der Abgleich von Karte und echten Bedingungen ist je nach Schneehöhe, Verhältnissen und Hangneigung wirklich kompliziert und so manche Steilflanke, die in der Karte wie ein einziger Fels aussieht, unterteilt sich dann im Realen doch nochmal in viele mögliche Abfahrtslinien durch spannende Couloirs. Aber erstmal geht es für uns weiter hoch. Nach einem besonders mühsamen Part durch klebrigen Schnee geht es auf den Grat und die Skier werden auf den Rücken montiert. Der Grat wartet anfangs noch mit recht einfachen Gehpassagen auf uns. Jedoch müssen wir uns kurze Zeit später schon entscheiden: mit Skitourenschuhen und schwerem Rucksack steiler und erstmal ungesichert klettern oder in die Flanke ausweichen und die steilste Passage gegebenenfalls über einen Felsblock absichern. Wir entscheiden uns für die Flanke und werden in unserer Abenteuerlust nicht enttäuscht. Der Schnee ist zufällig kein schöner, angenehm zu stapfender Trittfirn. Sondern eher fauler, bodenloser Wühlschnee, in dem es kaum Halt gibt. Zum Glück haben wir uns für diese Passage angeseilt und so geht es zwar im Tempo etwas ausgebremst, aber sicher in Richtung Gipfel. Die nächste Passage ist wieder viel einfacher und wir können in das Couloir nach ostwärts einsehen. Auf dem Vorgipfel deponieren wir erstmal unsere Rucksäcke, da das nächste Stück nur etwa einen halben Meter breit und zu beiden Seiten ziemlich steil ist. Ich bin ein Angsthase und schleiche mich über die ausgesetzte Stelle, andere haben viel weniger Probleme und können dabei entspannt scherzen. Am Gipfel entscheiden wir uns gegen den steilen Abstieg nach Norden (auch hier sieht der Schnee nicht besonders angenehm aus und die Absicherungsmöglichkeiten sind mau) und für das Ost-Couloir. Natürlich auch für die Gipfelschoki bei unseren Rucksäcken. Mit dieser Spurwahl werden wir dem Motto Steiler Schnee auf jeden Fall gerecht und die Abfahrt brennt uns in den Oberschenkeln und zaubert uns trotzdem ein Lächeln aufs Gesicht. Stellenweise war der Schnee angeblich sogar voll okay. Zurück in der Hütte sind wir ziemlich platt, obwohl sich manche von uns nicht davon erschrecken lassen und nochmal auf den Hausberg hochrennen, um das Höhenmeterprofil auf Strava noch ein bisschen zu polieren oder weil sie einfach verrückt sind. Der vernünftigere Rest kocht erstmal etwas, es wird Wasser geschmolzen (man braucht verdammt viel) und einzelne halten auch Nickerchen ab. Der Hüttenwirt ist tatsächlich auch da und schwätzt uns die Ohren lang. Er hat sehr viele lustige Geschichten auf Lager und kann eigentlich zu allem irgendwas beitragen. Als der Motivationstrupp wieder zurückkommt, essen wir gemeinsam. Danach steht mal wieder Tourenplanung an. Die Optionen sind entweder eine lange Tour mit kleinem Umweg über ein steiles Südcouloir auf das Aroser Rothorn. Oder es geht auf die Rückseite von unserem Hausberg inklusiv Abseilen von der Wächte am Grat. Beides hört sich spannend an, aber ich als ausdauernde, schisshasige und abfahrtsorientierte Skifahrerin muss mir nicht 2 Mal die Westflanken vom Naira und Rothorn (um zur Rückseite vom Rothorn zu kommen, muss man noch einmal Richtung Naira in eine Furka aufsteigen und kann dann in der Flanke abfahren) überlegen.

Der Tag beginnt wie der letzte auch mit frühem Start. Wir brechen Richtung Nordsattel vom Pizza Naira auf, ich führe diesen Abschnitt und merke, wie anspruchsvoll das sein kann. Gestern hatte ich die Abfahrt angeleitet und das stresst mich kaum noch und ich bin fast gar nicht mehr nervös als sonst auf Tour, weil ich regelmäßig diese Aufgabe übernehme. Aber im Aufstieg mache ich mir irgendwie immer ein bisschen mehr Druck, weil ich weiß, dass ich ein relativ langsames Grundtempo habe und damit dann gegebenenfalls die ausklamüserte Zeitplanung sprenge, die Gruppe nicht gut zusammenhalten kann oder die Spurwahl dann nicht so lege, wie ich es eigentlich ohne den inneren Druck könnte. Naja, wir kommen an, es hat genau 2 Stunden gedauert, obwohl wir beim Losgehen Zeit verloren hatten und wir sind fast alle noch motiviert. Nur Jakob fühlt sich nicht so gut, er hat Kopfschmerzen und dreht dann auf dem Sattel um. Die schattige Abfahrt ist sehr mühsam im oberen Teil und hat besonders tiefen Schnee. Hannah leitet den Abschnitt an und schickt mich auf der Hälfte bis unten voraus, um schnell wieder in der Sonne zu sein, umzubauen und nicht zu viele Leute gleichzeitig in dem steilen Stück fahren zu lassen. Tim und Anton kommen bis zur Mitte hinterher und machen kurz Pause, als das Unerwartete passiert. In Tim Knie knackt es bei einer Drehung und er fällt dann hin. Ich habe das alles gar nicht richtig mitbekommen, weil ich zu weit weg stand, aber sehe wie er auf dem Hintern den Berg herunter gerutscht kommt. Auf meinem Handy kann ich lesen, dass ich nochmal aufsteigen sollte. Das tue ich dann auch (Tim ist nur noch 50 Höhenmeter entfernt, also geht es schnell) und wir legen ihm auf dem flacheren Auslauf der Flanke dann noch meine Skier unter den Po, damit er schneller in der Ebene ist. Gemeinsam entscheiden wir, dass es keinen Sinn macht sich aus dem Tal 900 Höhenmeter mit einem verdrehten Knie herauszuquälen.

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Dafür tut es zu sehr weh und Hannah und ich sind beide Medizinerinnen und wissen, dass Schmerz ein Warnzeichen ist und man darauf hören sollte. Also rufen wir die REGA und Tim wird innert 20 Minuten eingesammelt und ins Spital gebracht. Schon krass, wie effizient die Luftrettung ist. Mit viel Adrenalin im Magen setzen wir unsere Tour fort. Wir können nicht wirklich groß etwas an unserem Plan ändern, da wir mindestens wieder auf die andere Seite müssen. Man könnte eine Abkürzung nehmen, aber im Endeffekt ist es noch früh und eigentlich haben wir durch die gnadenlose Effizienz der Bergrettung kaum Zeit verloren. Nach einem kurzen Stück in der Ebene machen wir aber auch erst noch einmal Pause und sprechen über das Geschehene, tauschen kurz ein paar Worte mit der zweiten Gruppe aus, damit sie sich keine Sorgen machen und besprechen die Lage. Eigentlich ist ja nichts Dramatisches passiert, es war nur ein kleiner Dreher zu viel, aber die Konsequenzen im Schnee und in den Bergen sind doch recht groß. Man kann zwar den Abstieg ins Tal auch mit Verletzung schaffen, zum Beispiel indem man einen Schlitten aus Skiern baut oder ähnliches, im Endeffekt braucht es aber viel Zeit und es verursacht auch teilweise dann recht viel Schmerz, da die Lagerung auf so einem Schlitten nie optimal ist. Insgesamt haben wir die Situation aber vor allem schnell und ohne viel HinoderHer gelöst. Inzwischen haben wir schon das erste Update aus dem Spital, gebrochen ist auf dem Röntgenbild schonmal nichts. Puuh, das ist ja wenigstens schon etwas. Wir setzen jetzt zum Anstieg über das Südcouloir an und das verwandelt sich in der Mittagssonne in eine absolute Schwitzhütte. Es zahlt sich aus, dass ich bei der Tourenplanung meinen Dickkopf durchgesetzt habe und eine recht langsame Aufstiegszeit prognostiziert habe, denn bei den gefühlt hunderten Spitzkehren brauche vor allem ich für diesen Teil extrem lange. Trotz den angelegten Harscheisen ist der Schnee recht mühsam und ich rutsche ständig ein bisschen weg. Aber auf dem Gipfel angekommen, haben wir tatsächlich unsere vorgeschlagene Gehzeit eingehalten und es ist 15 Uhr. Es macht schon sehr viel Spaß solche technischen Passagen zu meistern und von Anton noch einiges an Tricks für solche Steilstücke, an Lässigkeit für Abfahrten und an Power für die Anstiege abzugucken. Auch wenn man die Power irgendwie durch zuschauen auch nicht so ganz bekommt… Wir entscheiden uns gegen die Verlängerung der Tour über das Erzhorntal – dafür war heute zu viel Action – und fahren in unsere gemütliche Hütte. Das Abendessen haben wir uns wohl verdient, die Reflexionsrunde auch. Wir reden viel über Risikoeinschätzung und das Optimieren von Rettungseinsätzen. Felix kann auch viel beitragen – er ist Hubschrauberpilot. Es ist super spannend von allen die Perspektiven zu hören. Außerdem machen wir eine Abschlussrunde und planen den gemeinsamen Abstieg

Am nächsten Morgen schmeißt uns der Wecker extra früh aus dem Bett. Wir wollen zum Teil vor dem Abstieg noch ein letztes Mal auf den Hausberg. Zum Sonnenaufgang verlassen wir die Hütte und sind nach einer wieder erstaunlich guten Powder-Abfahrt pünktlich zum Frühstück wieder zurück an der Hütte. Es wird dann schnell noch gepackt und geputzt. Das Einfallen von 13 Leuten auf so einer Hütte bleibt selten unbemerkt. Als alles weggeräumt ist, fahren wir nach einer kurzen Einheit Planken dann Richtung Tal. Die Abfahrt ist auch nicht so anspruchslos, da der Schnee unten recht eisig ist, aber ein paar schöne Turns lassen sich noch ziehen, bevor wir dann auf der Loipe ankommen und die Fortbildung mit einem Wup beenden. Was eine coole Zeit mit soooo tollen Menschen! Zum Glück wohne ich in Chur strategisch gut und sehe einige von ihnen immer mal wieder bei mir einfallen.

Ela 

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